Teamchef Laskowski über die Lage in der Hockeywelt

17.07.2015

Österreichs Hockey-Herren stehen vor dem EM-Auftakt in Prag - und haben bereits eine wahnsinnig intensive Saison hinter sich. Teamchef Tomasz Laskowski hat zwischen dem Halbfinale der World League und der B-Europameisterschaft über die Erfahrungen auf höchstem internationalem Level geplaudert.

Wie bewertest du bisher die fast abgelaufene Saison des Nationalteams?
Die Saison war überragend. Aber wir müssen die letzten zwei Jahre sehen. Da sind wir U21-Europameister in der Halle geworden und haben uns am Feld als Sechster für die Weltmeisterschaft qualifiziert. Das erste Mal überhaupt. Mit den Herren waren wir in der Halle Zweiter der EM und der WM. Das ist der größte Erfolg aller Zeiten, was die WM betrifft. Am Feld haben wir die dritte Runde der World League erreicht, dort auf höchstem Level aber unser Ziel leider verfehlt. Als Mannschaft haben wir uns weiterentwickelt und sehr viel Erfahrung mitgenommen. Wir wissen jetzt, wie man viele Dinge auch besser angehen kann. Strukturell, organisatorisch, in der Planung.

Was trennt uns von Nationen wie zum Beispiel Kanada?
Nicht viel. Darum ist es umso ärgerlicher, dass wir das Spiel verloren haben. Die Kanadier hatten den unglaublichen Vorteil, dass sie nach der zweiten Runde der World League keine Meisterschaft mehr gespielt haben. Dadurch konnten sie sich in Ruhe auf die dritte Runde vorbereiten. Konkret haben sie zwei Wochen komplett abgeschaltet und sind dann durchgestartet. Spielerisch sind sie nicht viel besser als wir, das 0:3 täuscht ein bisschen. Viele Spieler aus Kanada spielen in starken Ligen in Belgien oder Deutschland. Das Team zeigt kluges und athletisches Hockey. Aber sie spielen schon länger auf diesem Level als wir. Wie gut sie sind haben sie gegen Spanien und Neuseeland bewiesen, sind Vierter geworden und bei Olympia dabei. Insofern relativiert sich alles ein wenig.

"Uns fehlt sicher die Dichte"

Und was trennt uns von der Weltspitze?
Da fehlt uns sicher die Dichte. Ich greife in Österreich maximal auf 24 Spieler zurück, die dann alles spielen müssen. EM und WM in der Halle, EM am Feld, Europacup, EHL, World League. Dazu kommt noch, dass die Hälfte aus einem Verein kommt. Mehr Auswahl bedeutet mehr Dichte und mehr Qualität. Wir quetschen aus jedem Spieler das Maximum heraus und sind von den kleinen Verbänden sicher der mit Abstand erfolgreichste – vor allem, wenn man Feld und Halle zusammen betrachtet. Wir bieten unseren Spielern sehr viel Qualität in Training und Vorbereitung. Nicht nur im Nationalteam, auch in den Vereinen. Das Training wird immer professioneller und besser. Das reicht aber nicht, um am Feld Deutschland oder Holland zu schlagen. Wir kommen langsam näher, das haben wir in Freundschaftsspielen heuer gesehen. Auch die U21 hat das bei der EM in Belgien 2014 bewiesen, an Holland und Spanien waren wir dran. Am Ende hat es nicht gereicht, aber wir sind am richtigen Weg.

Vielleicht muss man sich grundsätzliche Gedanken machen und sich mehr aufs Feld konzentrieren, wie das andere Nationen machen. Wenn man Kanada oder die Niederlande hernimmt, da spielt im Feldkader keine Spieler, der bei der Hallen-WM dabei war. Neuseeland, China, Japan, Korea, Argentinien, Spanien Frankreich oder Irland nehme ich da komplett raus, die spielen kaum oder gar nicht in der Halle. Kleine Nationen wie Polen oder Tschechien machen es wie wir und sind am Feld nicht erfolgreich. Jetzt ist sicher ein guter Zeitpunkt um sich neue Gedanken zu machen. Organisatorisch und strukturell fehlt auch einiges im Vergleich mit Holland oder Deutschland. Wir haben auch andere finanzielle Möglichkeiten, uns fehlt etwa ein Hauptsponsor. Wir sind von der öffentlichen Hand abhängig.

Wie beurteilst du dann unser Abschneiden in Argentinien?
Wir haben uns sicher unter Wert verkauft. Die Jungs können besser spielen, als sie dort gezeigt haben. Jeder Spieler hat unter seinem Niveau gespielt. Unsere Form haben wir nicht gefunden. Die Saison war sehr lang und die Jungs waren etwas ausgelaugt. Wir haben ca. 80 Tage zusammen verbracht. Für das Team war das eine neue und ungewöhnliche Situation. Dann hat uns das Feuer gefehlt. Wir haben auch Lehrgeld bezahlt, achtzig Prozent der Mannschaft hat erstmals auf diesem Niveau gespielt. Glück hatten wir auch keines, das haben wir schon in den USA verbraucht. In den Gruppenspielen war ich nicht so enttäuscht, wir haben uns nicht so schlecht verkauft. Gegen Kanada wäre aber mehr drin gewesen und die Niederlage war sehr schmerzhaft. Sehr enttäuschend war das Spiel gegen Ägypten, wo wir als bessere Mannschaft verloren haben und nicht den erhofften positiven Abschluss geschafft haben. Irgendwie hat das aber zum Turnierverlauf gepasst.

Es war einfach der Wurm drin. Wir haben als 22. der Weltrangliste angefangen und die Saison unter den Top-20 beendet. In der Qualität sind wir zu limitiert, um so ein Turnier erfolgreich zu bestreiten muss alles zusammenpassen. Man muss die volle Leistung am Punkt bringen, über sich hinauswachsen und braucht viel Glück. Das haben wir uns alles vorgenommen, aber leider nicht umgesetzt.

"Sind nicht weit entfernt"

Wäre mehr drin gewesen?
Natürlich wäre mehr möglich gewesen. Das ist unbestritten. Die Jungs wissen das auch. Im Betreuerstab sind wir uns auch einig. Wir beneiden auch Kanada, weil wir gesehen haben, was möglich ist. Dass eine Mannschaft als absoluter Außenseiter die Olympiaquali schaffen kann. Wir haben auch gesehen, dass wir nicht weit davon entfernt sind.

Wo siehst du den größten Aufholbedarf? Was fehlt im taktischen und technischen Bereich?
Unsere größten Defizite liegen im athletischen Bereich. Ich weiß, das klingt vielleicht etwas pervers, weil unsere Jungs so viel trainieren, aber zur Weltspitze fehlt noch Einiges. Wir haben das gegen Spanien gut gesehen, wo wir uns Pressing vorgenommen haben, aber nicht richtig hineingekommen sind, weil der Gegner einfach zu schnell war. Die einzige Entschuldigung wäre, dass wir am Vortag gegen Deutschland gespielt haben und die Spanier zwei Tage frei hatten. Aber auch am Anfang des Spiels, wo wir noch frisch waren, hat das Pressing nicht funktioniert. Mit Athletik meine ich auch Robustheit im Zweikampf. Aber in der Manndeckung stehen wir zu weit weg und kommen selten in die Position, wo wir überhaupt mit dem Körper arbeiten können und den Gegner schon in der Ballannahme unter Druck setzen. International ist das anders und da fehlt uns viel.

Technisch ist der größte Unterschied unsere Passhärte und Genauigkeit. Wir spielen die Bälle zu leicht und brauchen zu lang zwischen Ballannahme und Ballabgabe. Dadurch verpassen wir Anspiele. Im Vororientieren haben wir auch Defizite, sind zu langsam. Der Spieler hat dadurch zu wenig Zeit für die Entscheidung. Wir haben viele Baustellen im technischen Bereich, wo wir uns weiterentwickeln müssen, aber das ist die auffälligste.

Taktisch ist unser größtes Manko das schnelle Umschalten nach einem Ballverlust und in diesem Umschalten schnell die Zuordnung zu finden. Auf diesem Level brauchen wir zu lange. Auch beim Wechsel zwischen zwei Systemen wie Raum- und Manndeckung dauert es zu lange bis die einzelnen Abteilungen ihre Positionen aufnehmen. Dadurch entsteht Chaos. In der absoluten Weltspitze wird das sofort bestraft. Dafür brauchen wir komplette Innenverteidiger mit sehr hartem Zuspiel, weitem Heber, Robustheit mit athletischer Statur, Zweikampfstärke und natürlich Führungsqualitäten. Sie müssen einteilen, kommunizieren – die technische komponente lasse ich mal weg. So ein Typ fehlt uns einfach. Florian Steyrer ist noch nicht so weit, er braucht noch ein bisschen, braucht mehr Erfahrung, aber er ist auf einem sehr guten Weg.

Für besseren Spielaufbau brauchen wir besseres Laufverhalten. Im Sturm müssen wir das unbedingt verbessern. Es kommen zu wenige Angebote, die Stürmer stehen zu zentral um kommen deswegen oft zu spät nach außen. Sie schaffen die Wege nicht mehr. Das Grundlinienspiel ist auch verbesserungswürdig. Das Auflösen nach vorne nach Ballgewinn des Sturmpartners dauert zu lange. So gewinnt man dann keinen Raum und der Stürmer ist oft auf sich allein gestellt. Allgemein ist das Spiel ohne Ball sehr wichtig, die anderen Nationen bewegen sich einfach mehr. Im Mittelfeld müssen wir schauen, dass wir mit mehr Spielern aufbauen. Nur Benny Stanzl ist zu wenig für unser Spiel. Dadurch sind wir einfach zu lesen und berechenbar. Leider hatte sich unser zweiter Spielmacher Daniel Fröhlich verletzt. Er hätte für Entlastung gesorgt und dadurch Spieler mit offensivem Draht wie Robert Bele oder Michi Minar mehr Platz verschafft. Die Verteidiger machen im Aufbau zu viel Bewegungen mit dem Ball statt zu spielen. Mit diesem Warten bringen wir uns oft selbst in Bedrängnis. Dadurch sind wir dann gezwungen zu gehen und da müssen wir erst lernen, den schnellen Pass unter Druck zu spielen. Natürlich kostet das ständige Laufen der Verteidiger auch viel Kraft.

Wir haben uns vorgenommen, nach Ballgewinn aus der Raumdeckung schneller offensiv umzuschalten. Das war leider nicht gut, die Konter waren nicht gut. Das Mittelfeld hat sehr viel defensiv gearbeitet und wahrscheinlich zu wenig Substanz gehabt um immer mitzugehen. Wir haben den Ballbesitz schnell wieder verloren durch Eigenfehler. Aber Ballbesitz ist sehr wichtig, um das Team zu entlasten und uns Luft zu verschaffen. Sonst läufst du nur nach.

Wir sind nach Argentinien geflogen und haben gesagt, dass gute Strafecken und vor allem eine gute Strafeckenabwehr ein Spiel entscheiden können. Das war im Prinzip dann auch so. Wir haben zu viele Tore aus Nachschüssen bekommen, wie zum Beispiel gegen Argentinien. Beide Eckentore sind im Nachschuss gefallen. Wenn wir die nicht kriegen, sind wir voll im Spiel. International fallen sehr viele Tore im Nachschuss, da wird sehr aggressiv gearbeitet und wir müssen noch viel lernen. Fast alle Defizite, die ich aufgezählt habe, sind im taktisch/körperlichen Bereich. Das ist sicher einfacher aufzuholen.

"Sensationell verteidigt"

Und wo liegen unsere Stärken, wo können wir mit der Spitze mithalten?
Wir spielen im System sehr gut. Meine Jungs sind sehr intelligent und verstehen alle Prinzipien, sie sind sehr diszipliniert und versuchen alles hundertprozentig umzusetzen. Auf diesem Level geht es halt noch ein bisschen zu schnell und es gelingt nicht immer. Aber im Abwehrverhalten haben wir schon ein sehr gutes Niveau erreicht. Wir haben sehr positive Erlebnisse in den ersten Halbzeiten gegen Deutschland und Argentinien gehabt, wo sich die Gegner richtig schwer getan haben. Ihnen haben die spielerischen Mittel gefehlt, weil wir sensationell verteidigt haben.

Technisch haben wir sehr gute Einzelspieler, die Jungs können viel mit dem Ball. Unsere Strafecken sind absolute Weltspitze. Ich weiß, was die Leute denken werden, wenn sie das lesen, weil das in Argentinien nicht immer der Fall war. Aber ich kann von Michi Körper nicht verlangen, dass er aus jeder Ecke ein Tor macht. Der Druck auf ihn ist riesig. Wir müssen aus dem Spiel mehr Tore machen.

Der Umgang mit der Situation, dass der knappe Kader heuer so viel gemacht hat, die Einstellung, die Bereitschaft – das war alles sensationell. Man darf nicht vergessen, dass die Belastung nicht nur am Feld oder beim Training da ist. Die Jungs spielen, trainieren, studieren, lernen, pfeifen am Wochenende oder sind Trainer. Was übrig bleibt ist privat verplant. Wir können stolz auf unsere Jungs sein. Da können wir uns mit der Weltspitze nicht nur vergleichen, da können sich einige was abschauen von uns. Das ist für mich nicht selbstverständlich, dass die Jungs als Amateure so viel machen. Sie verzichten freiwillig auf die eigene Freizeit, auf den Freundeskreis, vernachlässigen Schule oder Studium um sich dem Sport hundertprozentig zu widmen und haben dabei kaum soziale Absicherung. Es ist auch nicht selbstverständlich, dass wir im Kampf um Olympia quasi im Vorbeigehen Vizeweltmeister in der Halle geworden sind.

Ich nütze diese Gelegenheit und sage: Vielen Dank, Jungs, für alles. Ich ziehe meinen Hut vor euch.

Und wie sieht es generell aus? Wohin entwickelt sich Hockey international? Was sind die größten Veränderungen der letzten Jahre? Und wo hinkt Österreich hinterher?
Das internationale Hockey wird immer athletischer. Das kann man sich gar nicht vorstellen aus Österreich. Die Spieler werden technisch immer besser, sind nahe an der Perfektion. Taktisch spielen fast alle den gleichen Stiefel, da hat sich nichts verändert. Wenn man gewinnen muss, wird nur Manndeckung gespielt. Die Deutschen spielen im Halbfeld gegen den Mann oder im Pressing gegen den Mann und ziehen das konsequent durch. Sehr erfolgreich, wie man sieht. Argentinien hat im Finale gegen Deutschland versucht Raum/Pressing zu spielen und so schnell wie sie angefangen haben, haben sie wieder aufgehört und auf Manndeckung umgestellt, weil man einfach die bessere Zuordnung hat. Ich habe schon vorher sehr viele Unterschiede beschrieben. Sie machen einfach immer mehr, mehr, mehr und werden immer professioneller. Die Topnationen spielen sehr viele Freundschaftsspiele und verschiedene Wettkämpfe über das ganze Jahr verteilt. Dadurch wird die Lücke zu den kleinen Nationen immer größer. Natürlich ist dort auch die Dichte viel höher und dadurch haben sie mehr Auswahl. Das Umfeld bzw. der Betreuerstab wächst auch immer mehr. Die großen Nationen haben acht oder neun Betreuer dabei. Das sind oft drei Trainer, zwei Physios, Manager, Arzt und Mentalcoach.

Am Schluss habe ich fast die Wichtigsten vergessen: die Videoleute. Jedes Team hat zwei am Turm, die professionell alles vorbereiten. Diese Video Performance Coaches machen die gesamte Videoarbeit. Das ist ein absolutes Muss. Große Verbände haben mehr finanzielle Ressourcen und dadurch ergeben sich natürlich andere Möglichkeiten. Organisatorisch und was Planung betrifft sind sie im Vorteil, weil sie erst später in die World League einsteigen müssen. Strategisch gesehen spielen viele in der Halle gar nicht und haben diese Doppelbelastungen nicht. Und wenn sie spielen, dann mit einer eigenen Mannschaft. Im Olympiajahr wird in Neuseeland oder Kanada das Team zusammengezogen und auf die Meisterschaft verzichtet.

"Man kann sicher aufholen"

Gibt es die Möglichkeit in Österreich aufzuholen?
Man kann sicher aufholen. Schön langsam halt. Ob wir jemals zu Nationen wie Niederlande, Belgien, Australien oder Deutschland anschließen, ist eine andere Frage. Ich glaube nicht. Jedenfalls nicht in den nächsten Jahren. Gerade in den Niederlanden hat Hockey einen anderen Status. Dort bist du wer, wenn du gut Hockey spielst. In Österreich ist das eine Randsportart. Mir kommt überhaupt vor, dass man in Österreich als Sportler ein Außenseiter ist. Das hat auch Thomas Muster in einem Interview gesagt. Kurzfristig kann man das aber nicht ändern. Das ist einfach so.

Wir müssen auf jeden Fall auf uns schauen. Wir müssen alles überdenken – strukturell und organisatorisch. Das ist wichtig jetzt zu reflektieren. Die Spieler müssen das abhaken, sich sammeln und wieder durchstarten. Mit neuer Energie und Motivation. Wichtig ist auch, dass wir in Prag in die A-Division der EM aufsteigen. Das ist ganz klar unser Ziel. Dann hat man wieder hohe Ansprüche und kann Dinge verlangen. Man hat als Verband, Spieler und Trainer eine andere Motivation. Wir beklagen uns, dass wir zu selten gegen Topnationen spielen. Wenn wir aufsteigen, dann sind wir genau dort. Man wird interessant für die Großen. Sonst wirft uns das weit zurück und wir fangen dort an, wo wir schon vor zwei Jahren waren. Deswegen freue ich mich auf die EM.

Dass wir vieles richtig machen, zeigen die Ergebnisse der letzten Jahre. Wir sind sicher am richtigen Weg. Wir müssen nicht schlecht über uns reden und jammern. Wir haben uns in den letzten Jahren stark weiterentwickelt. Wir machen viele gute Sachen und das kann man unserem Präsidenten Walter Kapounek anrechnen.